Spiroergometrie - Schlüssel zur gezielten Leistungsentwicklung
Einblicke aus der sportwissenschaftlichen Praxis der Sportordination Wer seine Leistung verbessern, seine Gesundheit gezielt fördern oder einfach effizienter trainieren möchte, braucht vor allem eines: verlässliche Informationen über den eigenen Körper. In der täglichen Arbeit mit unseren Klientinnen und Klienten erleben wir immer wieder, wie entscheidend es ist, nicht auf Vermutungen oder pauschale Trainingsformeln zu setzen – sondern auf präzise Diagnostik.
von Michael Koller
Als Mitbegründer der Sportordination und sportwissenschaftlicher Leiter macht es mich stolz, dass wir unser Institut zum größten privat organisierten Leistungsdiagnostikzentrum in Österreich – und eines der führenden im gesamten deutschsprachigen Raum – gemacht haben. Aktuell führen wir jährlich über 1.500 Leistungsdiagnostiken durch. Diese Expertise basiert auf langjähriger, interdisziplinärer Erfahrung mit Menschen unterschiedlichster Ausgangslagen: vom sportlichen Einsteiger mit gesundheitlicher Zielsetzung über ambitionierte Hobbysportler:innen bis hin zu internationalen Leistungssportler:innen verschiedenster Disziplinen.
Dabei ist eines klar: Jeder Körper funktioniert individuell. Was für den einen funktioniert, kann beim anderen zur Leistungsstagnation führen. Deshalb vertrauen wir unter anderem seit Jahren auf die Spiroergometrie als Goldstandard in der Leistungsdiagnostik – weil sie als einzige Methode alle an der Leistungsentfaltung beteiligten Funktionssysteme gleichzeitig erfasst: Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel und Muskulatur. In unserer täglichen Arbeit zeigt sich immer wieder, wie wertvoll diese objektiven Daten sind. Oft erleben wir Menschen, die sehr strukturiert trainieren, aber dennoch nicht weiterkommen. Trotz hoher Motivation bleibt der Fortschritt aus – der subjektive Aufwand stimmt nicht mit dem objektiven Effekt überein. Genau hier setzt die Spiroergometrie an: Sie deckt individuelle Schwächen auf, zeigt Potenziale und liefert konkrete Ansatzpunkte für Training, Ernährung und Regeneration.
Atemmuster und Atemeffizientz: Ein oft übersehener Leistungsfaktor
Die Spiroergometrie ermöglicht eine differenzierte Analyse des Atemverhaltens unter Belastung. In der Praxis zeigt sich häufig: Selbst trainierte Personen atmen ineffizient – etwa durch eine flache Brustatmung mit hoher Frequenz oder eine zu geringe Atemtiefe bei submaximaler Belastung. Ein Beispiel: Bei einem Triathleten offenbarte die Analyse ein Atemmuster mit hoher Atemfrequenz und gleichzeitig niedrigem Atemzugvolumen. Das Resultat: Erschöpfung bereits bei moderater Intensität, obwohl Laktatwerte und Herzfrequenz im Normbereich lagen. Mit gezieltem Atemtraining – etwa durch betonte Ausatmung, Nasenatmung und Atemfrequenzsteuerung – konnten wir die Atemökonomie verbessern. Bereits bei der Folgediagnostik vier Monate später war eine messbare Entlastung der Ventilation bei gleicher Leistung sichtbar – und subjektiv spürbar. In der 9-Felder-Grafik der Spiroergometrie liefern insbesondere die Felder 4 und 6 (VE/ VCO², VE/VO²) wertvolle Hinweise auf die Atemeffizienz. Abweichungen vom physiologischen Slope sind ein Frühindikator für ventilatorische Ineffizienz – nicht selten der „versteckte“ Grund für Trainingsplateaus.
Das Zahnradmodell: Was limitiert wirklich?
Die körperliche Leistungsfähigkeit ist das
Produkt eines fein abgestimmten Zusammenspiels aus drei physiologischen Systemen: der Sauerstoffaufnahme (Lunge), dem Sauerstofftransport (Herz-Kreislauf-System) und der Sauerstoffverwertung (Muskulatur). Im sogenannten Zahnradmodell nach Wasserman greifen diese drei Zahnräder ineinander – und wenn eines davon hakt, gerät das gesamte System ins Stocken. Ein besonders lehrreiches Beispiel für eine muskulär-metabolische Limitierung hatten wir bei einem 18-jährigen Fußballspieler aus dem Leistungssportbereich, der sich durch hohe Trainingsmotivation, aber ausbleibende Leistungssteigerung im Bereich Repeated Sprint Ability (RSA) sowie im Ausdauerbereich auffällig zeigte. Die Spiroergometrie offenbarte: Lungenfunktion und Herzfrequenzverlauf waren unauffällig, der Sauerstoffpuls ansprechend – aber die VO² stieg unter Belastung nur flach an, die respiratorische Kompensation trat ungewöhnlich früh ein und der RER war bereits bei moderater Belastung >1. Die Ursache: Die periphere Muskulatur war nicht in der Lage, den angebotenen Sauerstoff effizient zu verwerten – ein klassisches Zeichen für eine untrainierte mitochondriale Kapazität. Im Alltag bedeutet das: Sauerstoff ist da, wird aber „nicht angenommen“. Unsere Maßnahme: Ein klar strukturiertes Grundlagenausdauertraining mit langen und kurzen Einheiten im niedrigen Intensitätsbereich (GAT1 – Grundlagenausdauer 1). Parallel wurde gezieltes Kraftausdauertraining (30–40 % 1RM, hohe Wiederholungen) integriert – mit dem Ziel, die Typ-1-Fasern gezielt zu rekrutieren. Das Ergebnis: Nach drei Monaten konnte der Spieler seine VO² bei submaximaler Belastung um mehr als 10 % steigern, seine ventilatorische Schwelle verlagerte sich nach rechts, die Sprintwiederholbarkeit auf dem Platz verbesserte sich deutlich – messbar und spürbar.
Energiestoffwechsel und Fatmax: Die richtige Energie zum richtigen Zeitpunkt
Feld 8 der 9-Felder-Grafik bietet tiefe Einblicke in den Energiestoffwechsel: Anhand des Respiratorischen Quotienten (RQ) erkennen wir, ob Energie primär aus Kohlenhydraten oder Fetten gewonnen wird. Diese Information ist besonders wertvoll für Ausdauersportler:innen – denn je länger ein hoher Fettanteil aufrechterhalten werden kann, desto länger bleiben Glykogenspeicher geschont. So erlebten wir bei einem Marathonläufer, dass sein sogenannter Fatmax-Bereich – also der Leistungsbereich mit maximaler Fettverbrennung – deutlich unter seiner gewählten Trainingsintensität lag. Die Konsequenz: ein zu früher Kohlenhydratverbrauch im Wettkampf und entsprechende Leistungseinbrüche ab Kilometer 25. Durch Training zur Verbesserung des Fettstoffwechsels und gezielte Ernährungsstrategien, die auch gezielte Kohlehydratzufuhr beinhaltete, konnten wir seine metabolische Flexibilität steigern. Gleichzeitig lieferte die Spiroergometrie verlässliche Daten zur Berechnung des Energieverbrauchs – entscheidend für eine passgenaue Wettkampfverpflegung, sei es im Triathlon, Lauf- oder Radsport.
Schwellen exakt bestimmen - Trainingsbereiche präzise steuern
Ein besonderer Vorteil der Spiroergometrie liegt in der genauen Bestimmung der ventilatorischen Schwellen (VT1 und VT2). Diese Schwellen markieren die Übergänge im Energiestoffwechsel: vom rein aeroben Bereich zur Mischform und schließlich zum anaeroben Stoffwechsel. In der Praxis definieren wir auf Basis dieser Schwellen die individuellen Trainingszonen – abgestimmt auf den tatsächlichen physiologischen Zustand. Anders als pauschale Prozentwerte der Herzfrequenz oder VO²max berücksichtigen sie metabolische Reaktionen und individuelle Unterschiede in der Effizienz.
Für viele unserer Klient:innen – sei es zur Leistungssteigerung oder zur Vermeidung von Überlastung – ist dies ein entscheidender Faktor. Die Trainingsbereiche lassen sich damit präzise differenzieren: von regenerativen Einheiten bis hin zu (hoch)intensiven Intervallen.
VO₂MAX - Viel mehr als nur ein Vergleichswert
Die maximale Sauerstoffaufnahme – VO²max – ist ein etablierter Leistungsparameter. Sie gibt an, wie viel Sauerstoff der Körper unter maximaler Belastung aufnehmen und verwerten kann – in ml/min/kg. In der Spiroergometrie wird dieser Wert unter Ausbelastung ermittelt. Dabei analysieren wir auch begleitende Parameter wie Atemreserve, Herzfrequenzreserve und RER. Eine gezielte Steigerung der VO²max ist insbesondere durch intensive Trainingsformen möglich: etwa durch HIIT-Intervalle, klassische intensive Intervalle oder Blockbelastungen im Bereich der maximalen Sauerstoffaufnahme.
Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss der Körperzusammensetzung: Da die VO²max auf das Körpergewicht normiert wird, kann eine Reduktion des Körperfettanteils den Wert verbessern – auch ohne Steigerung der absoluten VO². Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Athletin verbesserte ihre VO²max von 42 auf 50 ml/min/kg – durch eine Kombination aus intensiven Intervallen und Reduktion des Körperfettanteils bei gleichbleibender Muskelmasse.
Individuell trainieren, gezielt verbessern, langfristig gesund bleiben
Die Spiroergometrie ist weit mehr als ein „Fitness-Test“. Sie ist eine wissenschaftlich fundierte, umfassende und hochindividuelle Methode, um die zentralen Systeme der Leistungsentfaltung zu analysieren. Sie zeigt uns, wo es hakt – und wie wir gezielt ansetzen können, um Fortschritt zu ermöglichen. Gerade durch das Zahnradmodell und die 9-Felder-Grafik liefert sie uns ein vollständiges Bild der physiologischen Abläufe unter Belastung.
Ob es um Atmung, Herz, Muskulatur oder Energiestoffwechsel geht – die Spiroergometrie liefert Antworten. In einer Zeit, in der Trainingspläne oft noch auf Durchschnittswerten basieren, ist sie der Schlüssel zur Individualisierung – und damit zur echten Leistungsentwicklung. Für Menschen, die gesund bleiben wollen. Für Sportler:innen, die ihre Ziele erreichen wollen. Und für alle, die ihren Körper besser verstehen möchten.


