Motivation, Ziele und Kniebeugen

  • Motivation, Ziele und Kniebeuge © GGUT/AndiFrank

(Mag. Gerhard Schiemer) Die Tage werden wieder länger, und das Leben spielt sich vermehrt draußen ab: auf dem Asphalt, auf dem Trail, in der Hocke, wo und wie auch immer.

Den Lesern dieses Magazins muss man ja nicht erklären, wie wichtig Running und Fitness sind, und dennoch tut es gut, zuweilen an das große Ganze erinnert zu werden, speziell in diesen Tagen und Wochen, in denen die neue Saison tatsächlich ihren Kick-off erlebt. Die ersten großen Marathon-Wettbewerbe, sei es in Rom, Linz oder Wien, kündigen sich an, die hiesige Trailsaison beginnt mit dem Lindkogel Trail vor den Toren Wiens, und das Innsbruck Trail Festival Anfang Mai wirft auch schon seinen Schatten voraus.

Jeder und jede von uns hat verschiedene Ziele und Herangehensweisen, und dies ist auch gut so, denn Einheitsbrei schlägt früher oder später auf den Magen. Einige Fixpunkte könnten, oder sollten, für alle gelten.

Finde deine eigene Antriebskraft!

Motivation ist das, was uns im Sport wie im Berufs- und Privatleben antreibt. Alles, was wir machen, unterliegt dieser Gesetzmäßigkeit. Somit wird die Frage nach dem „Warum“ die wichtigste, die wir uns stellen können. WAS jemand macht, ist leicht erklärt (aktuell schreibe ich gerade an diesem Text), WIE man es macht, ebenso (ich mache mir Gedanken und klopfe sie in die Tastatur), aber WARUM tue ich dies? Weil ich Erfahrungen teilen möchte, weil ich den Lesern und Leserinnen einige kurzweilige Minuten bereiten will. Wieso also laufen wir? Weil wir uns in einem ausgesprochenen oder unausgesprochenen Wettbewerb mit Freunden, Arbeitskollegen, Nachbarn befinden? Weil wir uns selbst beweisen wollen? Weil wir abnehmen und schöner aussehen möchten?
Zuweilen braucht es keine großen Schwafeleien, um auf den Punkt zu kommen. Vielleicht will man diesen oder jenen Wettbewerb einfach nur machen, weil es ihn gibt, weil man gute Dinge von den Organisatoren und Labstationen gehört hat, weil sein Name und das Erreichen des Finish-Line mit einem gewissen Prestige verbunden sind, sei es nun der Boston Marathon oder der Ultra Trail du Mont Blanc. Prinzipiell aber sollte das Feuer, das Interesse in uns selbst entspringen und nicht von anderen entfacht werden.

Beim vorherrschenden Über-angebot richtige Ziele finden!

Den Samstag, 4. Juli 2020 werden sich wohl einige Ultra-Laufsportfreunde rot im Terminkalender eingetragen haben. An diesem Tag findet nicht nur der Thüringen Ultra statt, sondern auch der Montafon Arlberg Marathon, der Sauwald Trail und der Traunsee Bergmarathon in Österreich, der Zermatt-Gornergrat Ultra, der Engadin Ultraks, der Trail Verbier Saint-Bernard in der Schweiz und der Brixen Dolomiten Marathon in Südtirol (der auch einen 81-km-Ultraevent für Zweierteams anbietet).

Ein Ausnahme-Wochenende? Bitteschön: Das Montreux Trail Festival und der „Swissalpine“ in Graubünden kollidieren Ende Juli mit dem Großglockner Ultra Trail, Mitte August findet der Berliner Mauerweglauf zeitgleich mit dem Hunsbuckel-Trail (HuBuT) statt. UTMB, Transalpine Run und Tor des Geants im Aostatal werden allesamt Ende August/Anfang September ausgetragen, und bei diesem schnellen Blick in den Eventskalender sind attraktive Veranstaltungen im näheren und entfernteren Ausland noch gar nicht berücksichtigt, wie der Transvulcania beispielsweise am 9. Mai auf La Palma (Konkurrent zum Chiemgau Trail Run, Alp-Traum 100, Mountainman Nesselwang) oder die sogenannte „Diagonale der Verrückten“, der „Grand Raid“ am 17. Oktober auf Reéunion im Indischen Ozean, wird zeitgleich mit dem Ultra Trail Lago d’Orta nördlich von Mailand und dem Bottwartal-Marathon organisiert, eine Woche nach der Tour de Tirol in Söll, eine Woche vor dem Transruina in der Schweiz.

Denn das wissen auch alle geschätzten Leserinnen und Leser dieses Magazins. „Einfach so“ kann man nicht an jedem Wochenende bei einem Marathon oder einem Ultralauf starten. Die Entscheidung für den einen Event ist somit nicht nur die Entscheidung gegen einen Wettbewerb an demselben Wochenende, sondern gegen alle Rennen drei bis fünf Wochen davor bis drei bis fünf Wochen danach. Ich möchte an dieser Stelle keine Grundsatzdiskussionen losbrechen, selbstverständlich kann die Regeneration auch schneller funktionieren oder der Wille Berge versetzen oder das Erlebnis in der Natur Vorrang genießen. Doch was mir wichtig zu betonen ist: Setze dir deine eigenen Ziele! Überprüfe, was dir Spaß machen würde und auf welchem Leistungsniveau du stehst! Denn die Ziele sollten in letzter Konsequenz auch Spaß machen!

Ohne Training wird's nicht funktionieren!

Vor dem Spaß kommt der Schweiß. Das Training. Das ist nun mal so, denn ein wesentliches Merkmal der Weiterverbesserung ist die Struktur. Ansonsten ist es, um es mit den Worten von Ultraläufer Klemens Huemer zu sagen, „nur laufen“.

Generell steigt jetzt der Lauf-Anteil im Gelände und somit auch die Höhenmeter - unter dem Motto: viel auf und ab, keine langen Anstiege!

Und dennoch. So wichtig es ist, mit einem Plan zu arbeiten und an diesem auch dranzubleiben, zu wissen, warum kurz- und mittelfristig dieses oder jenes gemacht wird, so wichtig ist mir auch die Abkehr von Glaubenssätzen, die sich im Laufe der Jahrzehnte in die Bewegungsindustrie latent eingeschlichen und ausgebreitet haben. Das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“ hat zwar heute keine große Bedeutung mehr, nur: Mit zunehmendem Alter und dem verloren gegangenen Spieltrieb wird’s nicht leichter. Wenn dann noch das Mensch-Maschine-Modelldenken zum Einsatz kommt und wir glauben, mit dem erstreichen der Jahre verschleißen unsere Teile, schieben wir uns selbst einen Riegel vor. Bergablaufen macht die Knie kaputt, ich hatte einen Bandscheibenvorfall und so weiter sind nur ein paar der gängigen Ansagen. Wer sich an solche Glaubenssätze bindet, kann die Freiheit zum Spielen draußen nicht mehr entdecken. Klar ist, dass hier wie überall anders die Dosis entscheidet.
An dieser Stelle würde ich euch ermuntern, das Lesen einen Moment sein zu lassen – und zehn Kniebeugen zu machen ...

Die Universalantwort auf die Frage nach dem Lauffortschritt!

Meiner Ansicht nach ist die Kniebeuge die Universalantwort auf die Frage nach dem Lauffortschritt und eine effiziente Verletzungsprophylaxe. Schlechte Körperhaltung über mehrere Stunden führt zu Haltungsschäden und Dysbalancen. Der Bewegungsapparat wird durch langwieriges Sitzen oder zu einseitigen Sport in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Die Kniebeuge hingegen ist kräftigend und mobilisierend, sie ist stabilisierend, bewegend und aktivierend und kann dynamisch oder statisch ausgeübt werden, in vielen verschiedenen Varianten. Mehr noch: Sie kann immer und überall ohne Hilfsmittel, auch nur zwischendurch ausgeführt werden. Sogar jetzt! Hast du die zehn Kniebeugen gemacht?

Die Idee, der Kniebeuge eine neue, höhere Wertigkeit zu geben, stammt nicht von mir allein. „Trailbeard“ Florian Grasel war vor recht genau fünf Jahren durch Lendenwirbelschmerzen in die Knie gezwungen worden. Die Diagnose war ernüchternd: Bandscheibenvorfall. Unter anderem auch mit integrierten Bewegungspausen ging es wieder sukzessive bergauf. Grasel baute in seine Arbeitszeit kürzere und längere Bewegungspausen ein, in denen er auch Kniebeugen machte. In den Folgejahren entschied er, 10.000 Kniebeugen im Monat zu absolvieren, und diese Idee fand ich inspirierend, um sie weiter zu verfolgen. Die hohe Zahl hat ja eine fast magische Bedeutung: Es sind 10.000 Höhenmeter beim UTMB, und es sind 10.000 Schritte, die man pro Tag gehen soll.

Entstanden ist ein Booklet, das hier kostenfrei heruntergeladen werden kann.

Das Leben spielt sich draussen ab!

Was immer ich mache – Trainingspläne schreiben, Leistungsdiagnostiken durchführen, Trailseminare leiten – ist verbunden mit der Legitimation der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, „draußen“ sein zu können. Laufen geht auch im Fitness-Center oder in einem Oval, wie es das Dusika-Stadion in Wien ist. Manche Sportarten leben von einem Indoor-Faktor, Handball, Volleyball, Kampfsport beispielsweise. Schön und gut. Doch sportliche Aktivitäten draußen in der Natur zu genießen bietet einen großen Mehrwert. Sich in der Freizeit in irgendwelchen Studioräumlichkeiten wegzusperren, die schlechte Luft und das künstliche Licht schwitzend zu konsumieren – dies kann niemals den gleichen Wert haben wie über Wiesen oder durch das Mittelgebirge zu wandern oder zu laufen. (Und von Krankheitserregern in geschlossenen Räumen will ich nicht einmal reden.)

Wenn ich das Training nach dem Vorbild der Natur in seinen Jahreszeiten erlebe, kann Kraft geschöpft werden. Ignoriere ich Naturgesetze, muss ich dagegen ankämpfen.

Alles sprießt, der Winter muss aber noch verdaut werden: Unsere energetischen Reserven (nicht unsere Speckreserven) sind stark beansprucht. Alles in der Natur drängt nach „draußen“, um in all seiner Üppigkeit Präsenz zu zeigen. Die Tage werden länger und so auch unsere Läufe! Explosionsartig wird es grün, und in der Blütenpracht wird die verschwenderische Fülle der Natur gezeigt. Was finden wir hier im Trainingsplan? Unter anderem kurze Intervalle, um die Motorik wieder in Schuss zu bringen, aber unsere Energiereserven nicht überzustrapazieren! Das Krafttraining über die Wintermonate hat ja alle unsere aktiven und passiven Strukturen bestens vorbereitet.

Wie schaut dies jetzt im Konkreten im Trail-Sektor aus?

  • Generell steigt jetzt der Lauf-Anteil im Gelände und somit auch die Höhenmeter – aber unter dem Motto: viel auf und ab, keine zu langen Anstiege!
  • Die langen Läufe sollen von Woche zu Woche etwas erweitert und zu Beginn eventuell noch auf zwei Einheiten am Tag gesplittet werden, morgens und abends. Grundlagenläufe sollen auf das Wochenende gelegt werden.
  • Die Kurzintervalle, die zwischen 20 und maximal 90 Sekunden dauern, können unter der Woche absolviert werden. Als Idee: in den ersten Wochen eher progressiv nach oben gestalten, also langsam beginnen und schneller werden. Später ist es dann umgekehrt, und man „verhungert“, je länger der Anstieg dauert. Noch ein Tipp: Je kürzer die Intervalle sind, umso steiler sollten die Anstiege sein, somit kann verletzungstechnisch nicht so viel passieren.
  • Auch für das Bergablaufen wird der Grundstein gelegt, indem immer wieder eine schnelle Minute bergab eingebaut wird. Versucht sollte werden, im „Nähmaschinen“-Prinzip so viele Schritte wie möglich zu setzen. Erst in den Übergängen soll der Schritt wieder etwas „aufgehen“.

Viel Spaß beim Ausprobieren dieser Tipps! Nutzt den Rhythmus der Natur, schwingt selbst einfach mit, profitiert von ihrer Energie anstatt dagegen zu arbeiten.

Auf alle Fälle ist klar: Das Leben spielt sich draußen ab!

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