Ein Lauf wie kein anderer

  • Ein Lauf wie kein anderer © Comrades/Marathon Photos Live

Der „Comrades“ nennt sich Marathon und ist ein Ultrarennen – noch dazu eines der ältesten der Welt. Diana Dzaviza war in diesem Jahr das erste Mal dabei und ist sich sicher: „Ich fliege wieder nach Südafrika.“ Über das Flair einer Veranstaltung, die Jahr für Jahr Laufgeschichte schreibt. (Egon Theiner)

Der Comrades Marathon ist ein Straßenlauf, der seit 1921 zwischen den südafrikanischen Städten Durban und Pietermaritzburg ausgetragen wird. Er ist der traditionsreichste und teilnehmerstärkste Ultramarathon weltweit und ein nationales Sportereignis, das in voller Länge im Fernsehen übertragen wird. Veranstalter ist die Comrades Marathon Association (CMA). Das Zeitlimit für die ungefähr 90 km lange Strecke beträgt zwölf Stunden.

„Wenn man läuft, hört man früher oder später vom Comrades“, sagt Diana Dzaviza. Die Wahl-Österreicherin aus Lettland gehört zu den schillerndsten Figuren der europäischen Ultralauf-Szene, ist auf Distanzen ab 100 Kilometern daheim, hat lettische Rekorde aufgestellt, beim Backyard Ultra in Nussdorf am Haunsberg Mitte August 31 Yards (das entspricht 207,87 km in 31 Stunden) zurückgelegt und das Rennen als Zweite beendet, vor allem aber hat sie den Spartathlon (von Athen nach Sparta, rund 250 km nonstop) zweimal gewonnen.

Just in Griechenland spricht sie der Deutsche Holger Hedelt darauf an, doch auch einmal den „Comrades“ zu laufen. Hedelt ist ein Veteran in Südafrika, war schon 15 Mal dort und ist in den Lauf verliebt. Er redet also mit Dzaviza nach ihrem ersten Sieg, und auch nach ihrem zweiten Triumph. Und er bringt sie auch mit Nedbank, einem Laufclub in Südafrika, in Kontakt. Der Name und die Laufzeiten der in Wien lebenden Fitness-Lauf- und Mentaltrainerin sprechen für sich, sie wird gerne eingeladen. Dzavizas Marathonzeit von Sevilla 2023 (2:55:38 Stunden) garantiert ihr einen Platz in Startblock A, doch als Teil des heimischen Laufteams steht sie mit der Elite in der ersten Reihe.

VON ANFANG AN wurde jährlich die Laufrichtung zwischen den beiden Städten gewechselt; die in Durban gestarteten Läufe werden „Up Runs“, die von Pietermaritzburg ausgehenden „Down Runs“ genannt. Start ist traditionell vor dem Rathaus des jeweiligen Ausgangsortes. Da immer wieder verschiedene Sportstätten in den Zielorten angesteuert werden, variiert die Streckenlänge zwischen 86 und 92 km. Der Kurs, der vorwiegend der alten Hauptstraße R 103 folgt, ist, von Durban aus gesehen, durch fünf größere Anstiege charakterisiert, die als Big Five bezeichnet werden.

2023 ist es ein „Down Run“, recht genau 90 Kilometer lang, und Dzaviza ist sich sicher, unter 6:45 Stunden laufen zu können. Ausdauersport ist ein bisschen wie Mathematik und Wahrscheinlichkeitsrechnungen, „für den Comrades brauchst du schnelle Marathon- und schnelle 10-km-Zeiten, dann weißt du auch, was deine Endzeit sein könnte“, sagt sie. Und Dzaviza wird auch recht behalten, sie ist nach 6:37:57 Stunden im Ziel. Mit Schmerzen im linken Oberschenkel und der linken Leiste, einer Verletzung, die sie sehr beeinträchtigt hat. „Ich habe mich an den Worten von Trainer Gerhard Schiemer aufgebaut“, sagt sie später. Schiemer hatte ihr sinngemäß gesagt: Es gibt die Schmerzen, doch es gibt den Zeitpunkt, ab dem es keine Schmerzen mehr gibt.

Medizinische Hilfsmittel, und mögen sie noch so erlaubt sein, lehnt Dzaviza strikt ab – Adrenalin und Dopamin heißen die Hormone, die ihr Körper ausschüttet, um der Schmerzen Herrin zu werden. Dann kommt sie ins Tun und in den Flow. „Nach 30 Kilometern haben die Schmerzen in der Tat nachgelassen“, blickt Dzaviza zurück. Und sie wusste schon vor dem Start, dass diese Verletzung keine sein würde, die sie langfristig aus dem Sport „nehmen“ könnte – daher auch die Entscheidung, doch zu starten.

DIE STRECKE IST durchgängig asphaltiert. Verpflegungsstationen sind jeweils im Abstand von ca. 2 km errichtet. Der Zuschauerandrang ist enorm und lässt an vielen Stellen eine Atmosphäre wie bei einem Stadtlauf aufkommen.

Bevor es hinaus auf die Strecke geht, warten die Läuferinnen und Läufer – auf einen Hahnenschrei. 1948 hatte der Teilnehmer Max Trimborn vor dem Start einen Hahnenschrei imitiert, was so viel Anklang fand, dass er von nun an damit den Startschuss ersetzte. Kam er vor Jahrzehnten vom Südafrikaner selbst, so kommt er heute aufgezeichnet aus einem Lautsprecher.

„Ich hatte Tränen in den Augen, als ich in der ersten Reihe stand, mit Weltklasseathleten und -athletinnen rechts und links von mir“, sagt Dzaviza, „und dann dieses Kikeriki – es war einfach magisch.“ Und noch einen weiteren magischen Moment gibt es für die Sportlerin, die nicht nur sich selbst, sondern auch andere zu Höchstleistungen motiviert: der Sonnenaufgang nach rund zehn Kilometern. „Sonnenaufgänge in Afrika sind durch nichts zu überbieten.“

„Der ,Comrades‘ ist kein schöner Landschaftslauf“, analysiert die Ultraläuferin, „in Österreich würde man sagen: richtig schiach. Aber all das, was mit ihm zusammenhängt, macht ihn einzigartig. Da stehen tausende Menschen am Straßenrand – so etwas habe ich bei einem Ultra noch nie gesehen! Da der Name für die Elite-Läufer auf der Startnummer steht, wirst du stetig angefeuert und weitergepusht. Es sind die Männer und Frauen, die die Strecke säumen, die dich förmlich ins Ziel tragen.“

Drei Kilometer vor dem Ziel warten hundert echt steile Meter auf die Teilnehmer*innen, und Dzaviza muss lachen über diese letzte Prüfung. „Grundsätzlich war der Lauf zu kurz für mich, ich hätte gerne weiterlaufen können und wollen. Und nach rund 15 Kilometern war mir auch schon klar, wo ich im Ranking war.“ Am Ende wurde es Platz 14 bei den Frauen, es bleibt ein kleiner bitterer Nachgeschmack. „Es war der stärkste ,Comrades‘ aller Zeiten“, sagt Dzaviza, „meine Pace hätte in allen anderen Jahren für eine Top-Ten-Platzierung gereicht.“

Die Comrades Marathon-Medaillen. Wie bei den meisten Läufen gibt es auch beim Comrades Marathon Gold-, Silber- und Bronzemedaillen – aber nicht nur für die drei Erstplatzierten.

Jeder Teilnehmer, der innerhalb der 12-Stunden-Schlusszeit ins Ziel kommt, erhält eine Medaille.

Die ersten 10 Männer und Frauen erhalten eine Goldmedaille, während eine Silbermedaille an die Männer geht, die über sechs Stunden und unter siebeneinhalb Stunden ins Ziel kommen.

Eine Bronzemedaille erhält, wer das Rennen in mehr als 10 Stunden, aber weniger als 11 Stunden beendet.

Jeder Mann, der außerhalb der Top 10, aber unter sechs Stunden ins Ziel kommt, erhält eine Wally-Hayward-Medaille und jede Frau ab Platz 11 und unter siebeneinhalb Stunden erhält eine Isavel-Roche-Kelly-Medaille.

Die übrigen Medaillen für Männer und Frauen sind die Bill Rowan-Medaille (sieben Stunden 30 Minuten bis unter neun Stunden), die Robert Mtshali-Medaille (neun Stunden bis unter 10 Stunden) und die Vic Clapham-Medaille (11 Stunden bis unter 12 Stunden).

Ausschlaggebend ist ausschließlich die Brutto-Zeit. Zwar wird mit dem zur Zeitmessung verwendeten Chip auch das Überschreiten der Startlinie registriert, die so ermittelte Nettozeit wird jedoch in der Ergebnisliste nicht ausgewiesen. Läufer*innen, die das Zeitlimit nicht einhalten (und sei es auch nur um eine Sekunde), gehen leer aus. Das führt regelmäßig zu dramatischen Szenen, wenn das Ziel genau zwölf Stunden nach dem Startsignal mit einem Seil gesperrt wird.

Schade um das einstellige Ergebnis, schade um das Preisgeld, das an eine andere ging, aber, hallo! Der Einlauf in das Zielstadion, mit all den TV-Kameras, fühlt sich großartig an. „Da sind so viele Menschen unterwegs, dass man den Zielsack recht schnell verlassen muss“, sagt Dzaviza, die im Vereinszelt des Nedbank Running Clubs massiert und verköstigt wird.

Apropos Verpflegung. Der Lauf ist sensationell organisiert, es gibt Wasser in Flasks, die man sich greift und einfach reinbeißt. Doch es wird auch sehr viel gegrillt, es riecht an sehr vielen Stellen nach Fleisch. „Ich esse hauptsächlich vegetarisch“, sagt Diana, „doch zuweilen mache ich auch Ausnahmen. Den Fleischgeruch habe ich aber dann schon als störend empfunden.“

Und nach noch etwas riecht es immer wieder entlang der Strecke: nach Urin. „Ich habe selten zuvor so viele Männer auf einem Haufen gesehen, die sich erleichterten. Das geht auf die Geruchsnerven“, sagt sie. „Ich selbst musste drei, vier Mal auf die Toilette, aber die Dixie-Klos waren dermaßen blitzsauber, mit allem ausgestattet, was man braucht, und rochen noch dazu so angenehm, dass ich aus dem letzten fast nicht mehr rauswollte …“

Doch was es ist, das den Comrades, abgesehen von einem Straßenlauf, der nicht einmal sonderlich schön ist, so speziell macht?

Dzaviza erklärt: „Comrades ist eine Veranstaltung, die das ganze Land in Beschlag nimmt. Schon im Flugzeug nach Südafrika wünscht der Kapitän mit einer Durchsage allen Comrades-Teilnehmern und -Teilnehmerinnen gutes Gelingen. Wenn du in den Comrades-Klamotten herumläufst, bist du wie Super-Woman für die anderen. Es ist fast abnormal, wie die Menschen, die an der Strecke stehen, dich anfeuern und supporten – es ist wirklich so, dass das Land für diesen Lauf lebt.“

Beim „Comrades“ herrscht hohe Willkommenskultur, „diese habe ich auch gespürt, es ist eine Liebe des Landes, der Menschen, zum Lauf.“ Und das ist der gewichtige Unterschied zum Spartathlon, so Dzaviza: „In Griechenland herrscht große Liebe zwischen den Läufern und Läuferinnen.“

Mit ihren bewährten Partnern – Feda Trading Kühltücher und Medivid Cryo-Produkte – hatte Diana Dzaviza die Hitze im Griff, und sie denkt schon voraus. „Einmal möchte ich den ,Comrades‘ so richtig laufen, ohne Verletzung, einfach all out. Ich kann das besser und werde es auch machen“, sinniert sie. „Aber klar ist auch, dass ich nicht die nächsten zehn Jahre zu diesem Event fliegen werde.“

Weil: Es gibt ja noch so viele andere schöne Ultras, die auf ihrer Liste stehen.

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