Muskelschmerzen im Trailrunning
Von der alpinen Einsamkeit zur metabolischen Realität – das Trailrunning stellt den menschlichen Bewegungsapparat vor biomechanische, physiologische und hermoregulatorische Herausforderungen, die insbesondere im Kontext muskuloskelettaler Beschwerden einer differenzierten Betrachtung bedürfen.
Ursachen sowie Prävention durch eine belastbare Muskulatur
Autor: Mag. Michael Koller
Exzentrik in der Vertikalen - Eine mechanische Gratwanderung
Im Zentrum der muskuloskelettalen Belastung steht die exzentrische Muskelarbeit beim Bergablaufen. Während die konzentrische Muskelkontraktion, wie sie etwa beim Bergauflaufen dominiert, auf eine Verkürzung der Muskulatur unter Spannung abzielt, zeichnet sich die exzentrische Phase durch eine aktive Verlängerung unter Last aus – ein biomechanisches Szenario, das insbesondere die Oberschenkelmuskulatur belastet und ein erhöhtes Risiko für Mikrotraumata sowie Delayed Onset Muscle Soreness (DOMS) birgt.
Diese repetitiven Dehnungs-Verkürzungs-Zyklen unter erhöhter Schwerkrafteinwirkung erfordern nicht nur eine spezifische Anpassung der Muskelfasern, sondern auch eine robuste intramuskuläre Koordination sowie eine präventive Kräftigung im Rahmen eines periodisierten Trainingsaufbaus.
Thermoregulation und Witterungseinflüsse: Hyper versus Hypothermie
Die hochalpine Exposition im Trailrunning setzt den Organismus regelmäßig thermoregulatorischen Extremen aus. Während in tieferen Lagen Hyperthermie durch sonneninduzierte Hitzebelastung und mangelnde Verdunstungskühlung zum Problem werden kann, ist in höheren Regionen die Hypothermie infolge von Windchill, feuchter Kleidung und rapide fallenden Temperaturen nicht zu unterschätzen. Beide Zustände beeinflussen die muskuläre Leistungsfähigkeit negativ: Hyperthermie führt zu einer gestörten Enzymaktivität und erhöhtem Elektrolytverlust, während Hypothermie eine reduzierte neuromuskuläre Erregbarkeit und erhöhte Muskelsteifigkeit begünstigt – ideale Voraussetzungen für schmerzhafte Muskelverspannungen und -verletzungen.
Energieverfügbarkeit und metabolische Aspekte
Ein entscheidender Aspekt bei der Entstehung muskulärer Beschwerden liegt in der unzureichenden Energieverfügbarkeit. Trailrunning verlangt eine kontinuierliche aerobe und anaerobe Energieproduktion, deren Effizienz stark von der Glykogenverfügbarkeit sowie einer gut entwickelten mitochondrialen Kapazität abhängt. Ist die Energiezufuhr inadäquat – sei es durch Fehler in der Ernährung oder durch eine mangelhafte metabolische Vorbereitung –, resultiert dies in einer Akkumulation von Metaboliten wie Laktat oder Ammoniak sowie einer vorzeitigen muskulären Ermüdung mit konsekutiv erhöhtem Verletzungsrisiko.
Terrain und Lauftechnik: Adaption durch ökonomische Bewegung
Das heterogene Gelände mit wechselndem Untergrund – von losem Schotter über wurzelgespickte Trails bis hin zu felsigen Passagen – fordert nicht nur die propriozeptiven Fähigkeiten, sondern auch eine adäquate Technikdifferenzierung:
- Bergab: Der Körperschwerpunkt sollte leicht nach vorne verlagert werden, wobei der Aufprall möglichst unterhalb der Hüfte erfolgt. Eine zu starke Rücklage fördert Bremsbewegungen und verstärkt die exzentrische Belastung. In diesem Kontext ist auch das Schuhwerk entscheidend: Modelle mit gutem Fersenhalt, griffiger Außensohle und ausgewogener Dämpfung helfen, Stabilität zu gewährleisten und die Gelenke zu entlasten – insbesondere auf losem oder technisch anspruchsvollem Terrain.
- Bergauf: Kleine, rhythmische Schritte mit hoher Kadenz reduzieren die muskuläre Ermüdung. Eine leichte Oberkörpervorlage un- terstützt den Vortrieb. Hier bewähren sich leichte, flexible Schuhe mit direktem Bo- denkontakt, die eine gute Kraftübertragung ermöglichen, ohne dabei an Traktion einzu- büßen.
- Ebene: Ökonomische, zyklische Bewegungsabläufe mit hoher Schrittfrequenz im Bereich von 170–180 SPM (Schritte pro Minute) sind energetisch effizient und verletzungspräventiv. Auch hier sollte das Schuhwerk entsprechend ausgewählt werden – mit ausgewogener Dämpfung und neutralem Abrollverhalten, um Ermüdung vorzubeugen und die Laufökonomie zu fördern.
Trainingssteuerung: Polarisation und Periodisierung
Ein polarisiertes Trainingsmodell hat sich im Trailrunning besonders bewährt: Etwa 80 % der Umfänge sollten im aeroben Grundlagen- ausdauerbereich 1 (GAT1) in der Ebene absolviert werden – idealerweise mit konstanter Herzfrequenz im unteren Bereich der individuellen aerob-anaeroben Schwelle. Die restlichen 20 % entfallen auf hochintensive Reize in Form von wettkampfspezifischen Berganläufen, In- tervallen oder Tempodauerläufen, die spezifi- sche Anpassungen der neuromuskulären und metabolischen Systeme induzieren.
Ein zentrales Instrument zur effektiven Trainings- steuerung stellt hierbei die Leistungsdiagnostik dar. Mittels Laktatstufentest, Spiroergometrie oder Feldtests lassen sich individuelle Schwellenwerte (wie die aerobe und anaerobe Schwel- le, VO2max) präzise ermitteln. Diese Parameter ermöglichen eine wissenschaftlich fundierte Ein- teilung der Trainingszonen und sichern so eine zielgerichtete Belastungsdosierung, die Über- wie Unterforderung vermeidet und langfristig eine optimale Anpassung der Muskulatur sowie des kardiovaskulären Systems unterstützt.
Krafttraining: Funktionelle Widerstandskraft gegen Schmerz
Ein vernachlässigter, aber elementarer Baustein zur Prophylaxe muskuloskelettaler Beschwerden ist das Krafttraining – nicht als bloßer Ergänzungsfaktor, sondern als fundamentale Säule. Ein periodisierter Trainingsplan sollte sowohl Phasen des Hypertrophietrainings (6–12 Wdh., 60–80 % 1RM) als auch der Maximalkraftentwicklung (1–4 Wdh., 85–95 % 1RM) integrieren. Besonders zu betonen sind hier die exzentrischen Komponenten, etwa durch Nordic Hamstring Curls oder Slow Eccentric Squats, um spezifisch die bergablastige Belastung im Trailrunning zu adressieren.
Vorbereitung ist der Schlüssel zur Trailrunning-Freude
Muskelschmerzen im Trailrunning sind das Resultat eines komplexen Zusammenspiels vielfältiger Einflussfaktoren und entziehen sich einfachen, monokausalen Erklärungen. Die physische Beanspruchung ist geprägt durch biomechanisch anspruchsvolle Bewegungsmuster – insbesondere bei exzentrischer Belastung in der Bergabpassage – sowie durch metabolische Limitationen, thermoregulatorische Stressoren und die variablen Anforderungen des Geländes. Hinzu kommen individuelle Faktoren wie Trainingszustand, Ernährung oder Regenerationsfähigkeit, die gemeinsam über muskuläre Resilienz oder Überlastung entscheiden.
Um der Komplexität dieser Disziplin gerecht zu werden, bedarf es einer integrativen Herangehensweise: Eine systematische, evidenzbasierte Trainingssteuerung – etwa auf Grundlage einer präzisen Leistungsdiagnostik – ermöglicht es, Belastungen zielgerichtet zu dosieren und sowohl die lokale muskuläre Leistungsfähigkeit als auch die globale metabolische Effizienz nachhaltig zu steigern. Dazu gehört nicht nur ein polarisiertes Ausdauertraining mit klarem Fokus auf aerobe Grundlagen und wettkampfspezifische Intensitäten, sondern auch ein strukturiertes Krafttraining sowie die gezielte Schulung von Technik und Koordination in unterschiedlichstem Terrain. Doch bei aller physiologischen und trainingsmethodischen Komplexität darf eines nicht verloren gehen: der Spaß am Laufen in der Natur. Trailrunning ist mehr als ein sportlicher Belastungstest – es ist eine Erfahrung, die Körper und Geist gleichermaßen fordert und bereichert. Damit dieser Spaß nicht durch vermeidbare Schmerzen, Überlastung oder Ausrüstungspannen getrübt wird, ist eine gewissenhafte, detailorientierte Vorbereitung unabdingbar. Nur wer Training, Ausrüstung und Witterungsbedingungen mit Umsicht plant, kann den Trail nicht nur bewältigen, sondern auch in ihm aufgehen – mit kraftvoller Muskulatur, wachem Geist und einem Lächeln im Gesicht.
Webtipp
www.sportordination.com
Für Fragen steht Mag. Michael Koller gerne zur Verfügung: koller@sportordination.com